Strafprozess14.10.2015

Besteht für einen Angeklagten im Rahmen eines Strafprozesses immer eine Anwesenheitspflicht?

Wird eine Person wegen einer oder mehrerer begangener Straftaten angeklagt, so muss er grundsätzlich während der Hauptverhandlung anwesend sein. Geregelt ist dies in § 231 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO). Doch gibt es Ausnahmen von dieser Anwesenheitspflicht? Muss der Angeklagte auch dann anwesend sein, wenn ihm das Verfahren zum Beispiel nicht interessiert oder er eine Vertretung durch seinen Verteidiger für ausreichend erachtet?

Besteht für einen Angeklagten im Rahmen einer Hauptverhandlung immer eine Anwesenheitspflicht?

Die Anwesenheitspflicht des Angeklagten während der Hauptverhandlung gilt tatsächlich nicht immer. Vielmehr gibt es einige Ausnahmen davon. Die Anwesenheit des Angeklagten ist in folgenden Fällen nicht erforderlich:

  • Fernbleiben des Angeklagten nach Vernehmung zur Anklage und fehlende Notwendigkeit der weiteren Teilnahme an der Hauptverhandlung (§ 231 Abs. 2 StPO)

    Hintergrund dieser Regelung ist es, dass dem Angeklagten durch seine Abwesenheit nicht die Möglichkeit gegeben werden soll eine bereits begonnene oder gar fast beendete Hauptverhandlung unwirksam zu machen. Die Vorschrift gilt als absolute Ausnahmevorschrift und darf daher nur eng begrenzt angewendet werden.

  • Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit durch den Angeklagten (§ 231a StPO)

    Der Angeklagte muss die Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich und schuldhaft verursacht haben und damit bewusst die Durchführung der Hauptverhandlung verhindern oder zumindest längerfristig verzögern wollen. Eine Verhandlungsunfähigkeit kann durch einen Hungerstreik, Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum oder Selbstmordversuch erreicht werden.

  • Ordnungswidriges Benehmen des Angeklagten während Hauptverhandlung (§ 231b StPO)

    Durch das ordnungswidrige Verhalten muss der Ablauf der Hauptverhandlung erheblich beeinträchtigt werden. Unerheblich ist dabei, ob es dem Angeklagten darauf ankommt oder ob ihm die Beeinträchtigung bewusst ist.

  • Beurlaubung des Angeklagten bei Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte (§ 231c StPO)

    Wird der Prozess gegen mehrere Angeklagte geführt und betrifft ein Teil der Hauptverhandlung einen Angeklagten nicht, so kann sich dieser beurlauben lassen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Verhandlung eine Straftat betrifft für die er nicht angeklagt ist.

  • Ausbleiben des Angeklagten bei geringer traferwartung (Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot – § 232 StPO)

    Ist die Strafsache nur von geringer Bedeutung und sind keine hohen Strafen zu erwarten, ist eine Anwesenheit des Angeklagten nicht notwendig, wenn er auf die Möglichkeit der Durchführung der Verhandlung ohne Anwesenheit des Angeklagten hingewiesen wurde. Zudem muss der Angeklagte schuldhaft ausbleiben.

  • Entbindung des Angeklagten von der Pflicht zum Erscheinen bei zu erwartender Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten, Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot (§ 233 StPO)

    Anders als bei § 232 StPO bleibt hier der Angeklagte nicht schuldhaft aus, sondern erhält vom Gericht nach einem entsprechenden Antrag die Erlaubnis fernbleiben zu dürfen. Voraussetzung dafür ist auch hier eine geringe Straferwartung. Als Gründe für ein Fernbleiben kommt zum Beispiel eine große Entfernung zwischen Wohn- und Gerichtsort, eine Krankheit oder berufliche und private Verpflichtungen in Betracht.

  • Entfernung des Angeklagten zur Zeugenvernehmung bei konkreter Gefahr für Wahrheitsfindung, zum Wohle des kindlichen oder jugendlichen Zeugen, bei befürchteter erheblicher Gesundheitsgefährdung des Zeugen sowie zum Schutz des Angeklagten selbst (§ 247 StPO)

    Auch diese Vorschrift gilt als Ausnahmeregelung und darf daher nur eng begrenzt angewendet werden. Kommt es zur Entfernung des Angeklagten, so muss dieser nach erfolgter Zeugenvernehmung vom wesentlichen Inhalt dieser in Kenntnis gesetzt werden.

Zudem ist eine Anwesenheit des Angeklagten bei einer Privatklage nicht erforderlich, wenn er sich von seinem Verteidiger vertreten lässt und eine entsprechende schriftliche Vollmacht vorliegt (§ 387 Abs. 1 StPO).

Muss der Angeklagte im Verfahren nach Einlegung eines Rechtsmittels immer anwesend sein?

Die Anwesenheitspflicht des Angeklagten im Verfahren nach Einlegung eines Rechtsmittels richtet sich danach, welches Rechtsmittel eingelegt wurde.

  • Berufung

    Für den Angeklagten besteht in einer Berufungsverhandlung gemäß § 329 Abs. 1 StPO grundsätzlich eine Anwesenheitspflicht. Sollte er seiner Verpflichtung nicht nachkommen, so kann die Berufung verworfen werden. Eine Ausnahme von der Anwesenheitspflicht besteht nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat (§ 329 Abs. 2 StPO).

    Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Verwerfung einer Berufung aufgrund des Fernbleibens des Angeklagten gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 und 3 c) EMRK) verstößt, wenn ein zur Verteidigung bereiter Anwalt anwesend ist (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 08.11.2012, Az. 30804/07). Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig sei dies aber unerheblich. Zwar stehe die EMRK im Rang eines Bundesgesetzes und die Gerichte haben daher diese ebenso wie die Entscheidungen des Gerichtshofs zu beachten. Dies führe aber nicht dazu, eine Anwesenheitspflicht des Angeklagten im Rahmen einer Berufungsverhandlung zu verneinen. Denn dies würde gegen den eindeutigen Wortlaut des § 329 Abs. 1 StPO verstoßen (Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 19.03.2014, Az. 1 Ss 15/14).

  • Revision

    Im Rahmen einer Revisionsverhandlung muss der Angeklagte nicht anwesend sein, wenn er sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lässt. Zudem besteht für den in Haft befindlichen Angeklagten nicht nur keine Anwesenheitspflicht, sondern sogar kein Anwesenheitsrecht (§ 350 Abs. 2 StPO).

  • Einspruch nach Strafbefehl

    Bei einer Verhandlung nach Einlegung eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl, besteht für den Angeklagten dann keine Anwesenheitspflicht, wenn er sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lässt (§ 411 Abs. 2 StPO).

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Ein Gedanke zu „Besteht für einen Angeklagten im Rahmen eines Strafprozesses immer eine Anwesenheitspflicht?

  • 17. Oktober 2015 um 22:48 Uhr
    Permalink

    So soll es nicht sein. Frau Merkel spricht doch auch vor leeren Sitzen. Gleichheit oder Demokratie!

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